Marokko, Februar 2013
Ein bißchen Sonne
Ein bißchen Sonne im ausklingenden Winter haben wir gesucht - was haben wir gefunden?
Der Flug endete in Marrakesch – bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um die 20°C. Eine hektische Stadt, die neben den Neubauvierteln Einblicke in die alten gewachsenen Stadtteile freigibt. Einen erster Spaziergang durch die Gassen der Neustadt wagten wir, um Wasser und Gebäck zu kaufen. Der Geldautomat spuckte bereitwillig die Landeswährung Dirham aus, und so kauften wir mit unseren viel zu großen Scheinen für sehr wenig Geld Grundnahrungsmittel. Die Menschen sind dort freundlich und man nimmt ansonsten wenig Notiz von uns – Touristen sind hier alles andere als selten.
Erste Eindrücke
Zurück im Hotel lernen wir die Gesetze der Hemisphäre kennen: das Wasser darf nicht ins Hotel gebracht werden, eine Videokamera überwacht den Eingang - es gäbe Ärger mit dem "Patron". Aber wenn wir das Wasser unter der Jacke tragen – so der Rezeptionist – sieht man es nicht. Die Welt ist nicht einfach in Marokko, aber es gibt immer Wege, Probleme zu meistern.
Abends dann der Sprung ins heiße Wasser: der Djemaa el Fna – der Platz der Geköpften – ist ein riesiger Platz, auf dem Händler, Gaukler und die Betreiber zahlloser Essensstände ihr Geschäft mit dem reichlich vorhandenen Publikum machen. Angrenzend an den Platz liegen die Souks, die Märkte mit ihren Gassen, welche vollgestopft sind mit Läden, die ihrerseits wieder vollgestopft sind mit Waren. Der Platz wirkt wie ein Herz, das die Menschen - also das Blut der Stadt - durch die Souks pumpt.
Die Souks
In den Souks gibt es nichts, das es nicht gibt: Klamotten, Elektronik, Obst, Gemüse, Fleisch, Süßwaren, Gewürze, Heilmittel, Schmuck, Lederwaren, Einrichtungsgegenstände, Kunsthandwerk und auch Dienstleistungen wie Zahnbehandlung oder Haarschnitte.
Im inneren Bereich wird mit vielerlei Taktik versucht, ein Gespräch - und damit ein Geschäft - anzubahnen: "German, français, english?", "guten Tag, bon jour", „Good price for you, good price for me“. Ein entspanntes Begutachten der Waren ist nahezu unmöglich, wir trauten uns kaum, stehen zu bleiben, aus Angst, in einen Laden gezerrt zu werden. Etwas tiefer in den Souks kann man entspannter – und einsamer – schnuppern. Vorausgesetzt, man hat keine Angst, sich zu verlaufen.
Es gibt keinen Wegeplan der Souks, jedenfalls keinen, der für Touristen verfügbar ist. Wir behalfen uns mit der Anwendung OSMand für unser Smartphone. Damit sahen wir Ziel und Richtung, in die wir uns bewegen mußten, um zu bestimmten Orten zu gelangen - wenn der GPS-Himmel gnädig war und nicht von hohen Häusern verdunkelt wurde.
Ohne diese Hilfe hätten wir uns insbesondere nach Eintritt der Dämmerung nicht so tief hineingetraut. Gerade in den vom Djemaa el Fna entfernteren Teilen schließen viele Geschäfte bei Einbruch der Dunkelheit und aus einer vorher belebten Gasse wird ein - für uns - unheimlicher, weil menschenleerer düsterer Gang - obwohl wir auch dort nie das Gefühl hatten, daß uns jemand nach irgendetwas trachtet.
Marrakesch besichtigen
Nach einem stilechten, aber doch eher rustikalen Abendessen auf dem Djemaa el Fna - auf dem Marktschreier der über 100 Essensstände aufdringlich für ihr Angebot werben - hatten wir doch noch Sehnsucht nach einer gemütlichen Kneipe für einen Absacker. Die findet man - landestypisch - natürlich nicht. Wir fanden nahe unseres Hotels das "Loft". Im Gegensatz zu unseren späteren Erfahrungen in den Hotels und Gaststätten verstand man dort, zügig und korrekt zu bedienen, sowie ein abwechslungsreiches Angebot an Speisen und Getränken anzubieten. Natürlich fuhren wir nicht deswegen nach Marokko - aber es macht den Urlaub ungleich angenehmer.
Am nächsten Tag besuchten wir im Rahmen eines knappen Besichtigungsprogramms die Menara-Gärten, das Palais Bahia, eine ehemalige Koranschule und den Jardin de Majorelle, ein geschmackvoll angelegter Park mit vielen Kakteensorten und Palmen. Interessiert waren wir auch am Besuch einiger Moscheen, doch diese sind für uns Anders- bzw. Ungläubige verschlossen. Die Bauwerke sind außerordentlich reichhaltig mit Arabesken verziert, denn der Koran verbietet die figürliche Darstellung von Menschen und Tieren. Aus dem gleichen Grunde ist übrigens auch das Fotografieren von Einheimischen nicht automatisch erlaubt. Wenn man gezielt jemanden fotografieren möchte, muß man ihn fragen. Einige lehnen ab, aber viele haben damit kein Problem. Und manchmal läßt sich ein vermeintlich Strenggläubiger die Befreiung von seinem Glauben versilbern.
Schade fanden wir bei diesen, wie den noch folgenden Sehenswürdigkeiten auf der Reise, daß man vor Ort keinerlei Erläuterungen an Schautafeln oder ähnlichem erhält. Diese Informationen könnte ein vom Staat lizensierter Führer geben, der pro Tag etwa 30,-€ kostet. Alle nicht lizensierten Führer verdienen das Prädikat "Führer" nur für das Vorweggehen und das Abhalten anderer nicht lizensierter "Führer". Wer also selbstständig unterwegs sein möchte, der sollte seinen gedruckten Reiseführer vorher gut studiert haben.
Auf's Rad!
Ab dem nächsten Tag sind wir mit der Reisegruppe auf geliehenen Rädern über Land unterwegs. Wir wollen einmal rund um das Atlasgebirge – mit dem Rad alleine würde das für uns Monate dauern, mit Busunterstützung gerade mal arbeitgeberfreundliche zwei Wochen. Die Gruppe von 16 Personen ist bunt gewürfelt – von Mitte zwanzig bis Ende(!) sechzig sind alle Altersklassen vertreten – Männlein und Weiblein, engagierte Hobbyfahrer und Freizeitradler. Fit sind auch alle, denn schließlich sind einige Etappen bis 60km angesagt. "Pässe klettern" steht zwar nicht auf dem Programm, aber die eine oder andere Verwerfung in der Erdkruste will doch gemeistert werden. Und es gab einige dieser Hügel auf der Reise. Manchmal durchgängige Anstiege über mehrere Kilometer, dann wieder kurze Hügel mit steilen Abfahrten. Wer hier mitfährt, sollte also eine 50km-Etappe zu Hause nicht nur in der Ebene üben.
Auch der Hintern muß sich erst an den anderen Sattel gewöhnen – und Kopf und Hände an die bisweilen störrische 21-Gang-Schaltung. Das steckten letztlich alle locker weg, zumal sich unser Tourguide nach Kräften bemühte, die Drahtesel wieder auf Trab zu bringen. Nur die Grippe haben wir aus Deutschland mitgebracht uns so gab es während der ganzen Tour immer wieder tageweise Ausfälle zu beklagen. Wie gut, daß wir mit drei Ford Transits unterwegs sind, die jederzeit Fahrrad und Fahrer/in aufnehmen können.
Unsere marokkanischen Fahrer sprechen zwar kein Deutsch, aber sie verstehen es, sich besorgt um uns zu kümmern. Und wer des Französischen mächtig ist, kann ihnen während der Fahrt manches Detail über das Land entlocken. In Marokko werden viele Sprachen gesprochen, neben der Amtssprache arabisch vor allem Berberdialekte und das von unseren Nachbarn während der Besatzungszeit mitgebrachte Französisch. In den Touristenorten wird aber auch englisch verstanden und auch deutsch ist vielerorts nicht unbekannt. So erläuterte ein Teppichhändler in nahezu perfektem Deutsch das Weben und Färben von Teppichen.
Das Land
Die unterschiedlichen Landschaften durch die wir fuhren sind beeindruckend aufgrund ihrer verschiedenen Erdfaben und ihrer Weite, die umso deutlicher hervortritt, je karger das Land ist. Abseits der Flüsse und Oasen sowie des schmalen Streifens nördlich des Atlasgebirges bietet das Land nur wenig Bewuchs. Hier können nur Ziegen und Dromedare ihr Leben fristen. Anders in den Oasen und Flußtälern. Dort wird nach alter Väter Sitte mit hohem manuellem Aufwand Ackerbau betrieben. Traktoren und Maschinen haben wir selten gesehen, Esel als Last- und Arbeitstiere dafür umso mehr. Desweiteren Ziehbrunnen und Ziegenherden mit Hirten.
Unsere Etappen führen uns ausschließlich über asphaltierte Straßen und dennoch bietet sich hinter Marrakesch, fernab von größeren Ansiedlungen, ein komplett anderes Bild als in dem Touristenzentrum. Es hat nicht den Anschein, als würde jemand hungern, aber was wir sehen können, erinnert an Schilderungen aus dem Mittelalter. Natürlich sind die vermeintlichen Segnungen der Neuzeit wie Satellitenfernsehen und Handy nahezu überall angekommen, aber Wohn- und Arbeitsräume sind immer noch kärglich.
Essen und Trinken
Auch das eher eintönige Angebot an Speisen und die wenig phantasievolle Zubereitung erweckt den Eindruck, daß die Neuzeit noch nicht auf dem Land angekommen ist. Marokko hat fruchtbares Land, exportiert eine Vielfalt von Lebensmitteln und Gewürzen und doch ist fast überalll nur das Nationalgericht, „Tajine“ in einer der Varianten „poulet“, „boeuf“, „legume“, „agneau“ (Hühnchen, Rind, Gemüse, Lamm) erhältlich – und fast immer etwas fade. Etwas würziger waren die Linsensuppe Harira und die Gemüsesuppe. Als Nachtisch wurde regelmäßig ein Obstteller (Banane, Apfel, Apfelsine) oder ein „Flan“ (Milchpudding) gereicht. Die roten Erdbeeren, die wir in Marrakesch zu Bergen aufgetürmt sahen, fanden leider nur einmal in Form von dünnen Scheiben den Weg auf unsere Dessertschale. Auch Couscous gab es manchmal - auch eher unauffällig gewürzt. Wer sich den lokalen Spezialitäten entziehen wollte, fand Trost bei Lasagne und Spaghetti Bolognese.
Ja, wir Westeuropäer sind schon verwöhnt. Und wo wir gar keinen Spaß verstehen, ist beim Alkohol. So hat der Reiseveranstalter auch nur Hotels ausgesucht, die eine Lizenz zum Alkoholausschank besaßen – fast alle Marokkaner sind Moslems und für sie ist Alkohol offiziell tabu. Die Preise für lokale Getränke halten sich in Grenzen, Importware ist natürlich deutlich teurer – das gilt übrigens auch für Cola und ähnliches.
An den "Thé à la menthe" (grüner Tee mit Minze oder Minze pur) und die Kaffeederivate (au Lait, nes-nes - arabisch für halb/halb, Espresso) kann man sich aber gut gewöhnen, sofern sie auf der Strecke getrunken werden. Der Frühstückskaffee im Hotel war – wie in Europa – selten ein Genuß.
Zukunft für die Kinder
Aber wir waren ja nicht in erster Linie wegen des Essens und Trinkens nach Marokko gekommen, sondern wegen der Neugier auf Land und Leute. Abgesehen von den Touristenschleppern sind wir hier nicht enttäuscht worden. Eine beeindruckende Landschaft, in der freundliche Menschen leben, die uns auch schon mal spontan auf unseren Rädern zugewunken haben. Wie gerne hätten wir säckeweise Kugelschreiber zum Verschenken dabei gehabt, denn gerade auf dem Land riefen uns viele Kinder "stylo, stylo" zu. Sie fragen nach Kugelschreibern, um damit in der Schule ihre Aufgaben machen zu können.
Der Staat bemüht sich sehr, der Bevölkerung ein Mindestmaß an Bildung zu vermitteln, gibt Geld für Schulbauten aus und hat eine Schulpflicht eingeführt - und doch können sich viele arme Familien den Schulbesuch der Kinder nur wenige Jahre leisten. Die Einheimischen bemühen sich um die Touristen, können aber oft nicht lesen und bisweilen nicht einmal einfache Additionen zweier Zahlen im Kopf ausführen. Andere sprechen freundlich und verständlich Deutsch vom Hörensagen, wieder andere zerren uns mit deutschen Brocken in ihren Laden.
Resümee
Es braucht nur wenige Flugstunden, um sich von dem satten reichen Industriezentrum in Mitteleuropa, in dem es fast alles im Überfluß gibt, in das einfache, karge Nordafrika zu katapultieren.
Und wiederum katapultieren wir oder sich die Menschen selbst dort in eine völlig fremde absurde Welt. Während im Fernsehen Werbung für WC-Duft läuft, sitzt mancher Marokkaner in seinem kargen Lehmbau und ist weit weg von jeglichem westlichen Komfort. Strom ist bisweilen einfacher zu bekommen als fließendes Wasser. Der Koran verbietet die Abbildung von Menschen und im Fernsehen läuft "Arab Idol", die arabische Version von "Deutschland sucht den Superstar".
Es beschleicht uns die Frage, ob wir mit unserem Tourismus den Menschen dort eher schaden oder eher nützen: bringt unser Geld echte Verbesserung für ihr Leben oder mittelbar nur die Abhängigkeit vom westlichen Industriekapitalismus? Es fliegen Milliarden von Plastiktüten über das Land und die Flußläufe sind voller Müll. In den Supermärkten werden Äpfel aus Italien und Datteln aus Tunesien verkauft anstatt eigener Produkte.
Wir haben eine Reise gemacht. Mit dem Flugzeug, mit Auto, mit dem Fahrrad und auch zu Fuß. Und wir haben eine Reise gemacht mit dem Kopf – zurück in die Vergangenheit, konfrontiert mit der Gegenwart – zweifelend über die Zukunft.
Wir müssen noch eine Weile über dieses Land, über uns und über diese Welt nachdenken.
Reisevideo
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