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dietzens.de

Emilia Romagna, Juni 2019

Eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein,
Doch zwei kleine Italiener möchten gern zu Hause sein.

. . . sang 1962 Conny Froboess beim Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne über das Schicksal zweier italienischer Gastarbeiter in Deutschland.

Seitdem haben Millionen Deutsche Italien bereist und noch vor Mallorca zu einer zweiten Heimat - zumindest während der Urlaubszeit - erkoren. Von Südtirol über die Toskana bis Sizilien und Sardinien dürfte wohl kaum eine Region in Italien nicht von deutschen Urlaubern geflutet worden sein.

Auch wir waren schon in Italien, mehrmals. Doch diesmal waren wir neugierig auf eine Gegend, die eher weniger vom Reisen bekannt ist, als vielmehr über ihre Produkte, die Eingang in die deutsche Küche gefunden haben.

Der weltweit bekannte Parmaschinken, der Parmesan und auch der Balsamico-Essig kommen aus der Region Emilia-Romagna. Eher negative Assoziationen erzeugt der Lambrusco, der in Deutschland leider das Image eines billigen Fusels hat. Das allerdings zu Unrecht - wir kommen noch drauf. Auto- und Motorradliebhabern ist die Region als Heimat von Lamborghini, Maserati, Ferrari, Ducati, Bimota und weiteren Herstellern bekannt.

Man kann sich natürlich Italien gut auf eigene Faust erschließen, aber bequemer geht es, wenn jemand, der die Gegend und die Produkte gut kennt, "vorneweg läuft". Thomas Köster von weinspuren.de hat sein Hobby zum Beruf - oder sein Beruf zum Hobby? - gemacht. Er kennt sich hervorragend in der italienischen Küche und auch in deren Weinkeller aus. Sein Reiseangebot beinhaltet eine Woche Aufenthalt in der Region mit dem Besuch verschiedener Produzenten, Verkostung der Produkte vor Ort und abendliche Menüs in sehr verschiedenen Restaurants. Zum Komfortfaktor kommt hinzu, dass das eigene Fahrzeug eine Woche Pause hat: man wird chauffiert.

Aceto Balsamico aus Modena

Warum gibt es den guten Aceto Balsamico ausgerechnet in der Gegend um Modena? Das könnte mit der typischen Lambrusco-Rebsorte zusammenhängen, die gerade in dieser Region angebaut wird. Die Rebsorte ist nicht so sehr berühmt wegen ihrer schweren Weine, sondern eher dafür, jung getrunken zu werden - auch darauf kommen wir noch zurück. Was liegt also näher, als die Beeren mal ganz anders zu veredeln und damit der leidigen Konkurrenz anderer Rotweintrauben aus dem Wege zu gehen?

So wird der Traubenmost also zu Essig statt zu Wein vergoren - andere Hefebakterien erzeugen andere Endprodukte. Die weitere Veredelung gestaltet sich allerdings ähnlich wie beim Wein: Der Essig reift im Fass und nimmt dort entsprechendes Aroma an. Und die Ähnlichkeiten zu alkoholischen Getränken gehen weiter. Wie bei beim Sherry gib es eine Fassreihe, bei der Jahr für Jahr von der jüngsten Mischung in die nächste ältere Mischung Essig umgefüllt wird. Und wenn verschiedene Hölzer zum Einsatz kommen, wird das Geschmackserlebnis nochmals verfeinert.

Je nach Verschneiderhythmus kommt so eine stattliche Anzahl von Jahren für den ältesten Essig im letzten Fass zusammen. Und klar ist natürlich: je älter desto teurer. Mit diesen Essigen wird dann allerdings keine Salatsauce gemacht, sondern es werden damit nur noch feine Gerichte abgeschmeckt. Wir durften bei Leonardi verschiedene Essige aus Fässern mit verschiedenen Hölzern verkosten, und auch bei ganz alten Essigen war der Betrieb nicht knickerig. Der älteste Essig, den wir gekostet haben, war 100 Jahre alt. Und in der Tat, die betagten Essige sind tatsächlich delikat und eignen sich bisweilen auch als einziges Topping auf einem guten Steak - statt ordinärer Grillsauce.

Unser Fazit: unbedingt mal eine Führung dort mitmachen. Aceto Balsamico Tradizionale di Modena ist das Beste, was aus einer Lambruscotraube werden kann - naja: fast!

Lambrusco - der verkannte Wein

Wir kannten bislang Lambrusco nur im Zusammenhang mit "3 Liter Pennerglück". Ja, diese Flaschen waren in unserer Jugend im Supermarkt sehr preiswert zu haben. Doch damit tut man dem Lambrusco - und vor allem den Kellereien, die heute den Lambrusco verarbeiten, unrecht.

Wein aus der Lambrusco-Traube hat nicht sehr viel Tiefe, ist aber jung und spritzig ein wunderbares Getränk zum Mittagessen in der schwülen Poebene. Wer möchte sich mittags schon einem Primitivo ergeben, wenn er danach noch arbeiten muss? Auch als blassroten Sekt - halbtrocken und auch trocken - konnten wir den Lambrusco genießen. Wie gesagt, es sollte draußen warm sein - und der Wein umso kühler.

Wir haben auch etwas intensiver ausgebaute Lambruscos probiert, aber als Wein für den Abend hat Italien einfach noch zu viele andere Weiß- und Rotweine zu bieten. Sehr gute Sekte haben wir bei Cleto Chiarli verkostet, auch die Führung durch den Betrieb und die Abfüllanlage fanden wir sehenswert.

Parmaschinken

Parmaschinken - in diesen vegetarisch/veganen Zeiten noch keine Provokation, denn man isst nicht viel davon.

Was nicht heißt, dass davon nicht viel produziert wird. Und beim Wort "produzieren" stocke ich schon, denn für zwei Schinken muss ein Schwein sein Leben lassen. Genauer gesagt produzieren also hunderttausende Schweine den Schinken, die Menschen veredeln lediglich das Produkt.

Also zunächst zum Schwein, das in unseren Falle bei Antica Corte Pallavincina ein schwarzes ist. Die Schweinerassen, die dort im Dreck suhlen und Mais und Eicheln fressen, sind Rückzüchtungen. Aus ihrem Fleisch wird der besonders edele Culatello gemacht.

Nachdem das Schwein seinen Schinken wohl eher unfreiwillig hergegeben hat, reift dieser nicht am Knochen, sondern wird in ein Netz eingebunden. Mit Knoblauch und Rotwein eingerieben übernimmt er dann den Edelschimmel der anderen Schinken, die schon eine Weile im Gewölbe oder in der Halle hängen. Auf diese Weise verliert er während der Reifezeit etwa 30% seines Gewichts, nimmt aber dafür umso mehr Aroma an.

Und wer hätte es gedacht: auch hier nimmt der Preis mit dem Alter des Schinkens zu ;-)

Parmesankäse

Käse ist schon deutlich angenehmer für's Tierwohl, aber auch hier muss bedacht werden, dass Kühe nur Milch geben, wenn sie Kälber haben - eine Schwangerschaft jagt die nächste. Dennoch lässt sich manches verbessern, und so macht es der Biobetrieb Hombre.

Albert liebt Parmesankäse und so war der Besuch dort fast wie im Schlaraffenland. Fast, denn erstens achtet der Chef drauf, dass nix wegkommt, zweitens sind die meisten Käse dort noch nicht reif und drittens lassen sich die Käse nicht im Rucksack verstecken.

Wie kommt der besondere Parmesangeschmack zustande? Ganz ehrlich: wir wissen es nicht. Wahrscheinlich ist es wieder die Mischung aus Ernährung, Klima und Reifezeit. Der Reifezustand des Käses wird übrigens mit dem Käsehammer geprüft. Nein, der Käse wird nicht zerschmettert sondern abgeklopft: Am Klang kann der erfahrene Klopfer feststellen, wie reif der Käse ist.

Restaurants

Thomas Köster hat eine bunte Mischung Restaurants mit unterschiedlicher Küche und unterschiedlichem Stil für uns ausgesucht. Er legt Wert darauf, dass wir möglichst große Bandbreite an Eindrücken vom Essen in der Gegend "mitnehmen". Dazu kommt, dass Thomas aus der Vielfalt der angebotenen Gerichte auf der Speisekarte diejenigen vorstellt, die einerseits typisch für die Gegend sind, und andererseits vermutlich den Geschmack der Gruppe treffen. So haben wir wirklich sehr verschiedene Restaurants kennen und lieben gelernt. Alle waren - jedes auf seine Art - erstklassig.

Und auch die dort angebotenen Weine ließen einen - in doppelten Sinne - tiefen Einblick in die Weinkultur Italiens zu. Die Verkostung verschiedener Weine gestaltet sich in der Gruppe einfacher, da man aufgrund der Gruppengröße mehrere Weine probieren kann, ohne gleich eine ganze Flasche leeren zu müssen. Auch hier haben wir dank Thomas Kösters Expertise diverse neue geschmackliche Entdeckungen gemacht.

Wein

Fast hätten wir's vergessen: Natürlich wird an den Nordost-Hügeln des Apennin auch Wein angebaut - allerdings weniger Lambrusco als vielmehr kräftigere Sorten. Wir besuchten drei Weingüter, die alle hervorragende Weine machen und bei denen wir auch einige glassgefasste Reisesouvenire kauften.

Neben Cleto Chiarli (sieh oben) ist die Rede einerseits von Lamoretti, einem modernen Weingut in traumhafter Lage mit preiswerten kräftigen Rotweinen. Sie produzieren auch Weißweine, aber die haben wir nicht verkostet.

Der önologische Knaller der Reise allerdings war für uns der Besuch beim Bio-Betrieb La Stoppa. Das Weingut verzichtet auf moderne Filtertechnik, lässt den Wein ausgären und wartet einfach, bis er fertig ist. Klingt einfach, braucht aber vieeeel Erfahrung. Der Kellermeister Nico, ein Amerikaner, der seine Heimat mit 18 Jahren verlassen hat, um in die Welt zu ziehen, ist total sympathisch, freundlich und sehr auskunftsfreudig. Außerdem spricht er ein korrektes Italienisch, das für Italienischanfänger eine wahre Freude ist, weil er so artikuliert und langsam spricht - zumindest zu uns.

Mehr noch als das beeindruckten uns die Weine von La Stoppa. Es fiel uns sehr schwer, uns beim Kauf vor Ort uns auf das absolut Notwendigste zu beschränken. Aber zum Glück liefert ja ein deutscher Versandhändler - allerdings strapazieren diese Weine dann doch gehörig den Geldbeutel.

Bologna, Parma und Modena

Bei so viel kulinarischen Erlebnissen blieb nicht viel Zeit für Stadtbesichtigungen oder Wanderungen. Aber für einen Rundgang durch Bologna, Parma und Modena hat es trotzdem gereicht. In Bologna hat uns eine Führerin einiges über die Geschichte und das Leben in der Stadt berichtet. So haben wir gelernt, dass die Universität von Bologna - nach Meinung vieler Geschichtsschreiber die älteste westeuropäische Universität - entstand, weil man die Studenten - meist Söhne reicher Familien - mit ihrem Gefolge als Wirtschaftsfaktor erkannt und die schon lange bestehenden Rechtsschulen professionalisiert und institutionalisiert hat. In der Folge wurde Wohnraum knapp. Der wurde in Form von Auslegern über der Straße geschaffen - die Arkaden waren erfunden. Dagegen widerum wehrten sich einige konservative Geschäftsleute, bis sie erkannten, dass die Arkaden ihren Geschäften zwar etwas Licht nahmen, aber letztlich die Vorteile überwogen: die Arkaden spendeten Schatten und schützten damit die Auslage, und bei Regen hielt nichts die Menschen mehr vom Einkaufen ab.

Selbstverständlich sind alle drei Städte voller historischer Gebäude und Kirchen. Eine der Geschichten zum Dom von Bologna mit seiner sehr schmucklosen Fassade ist uns im Gedächtnis geblieben. Der Bau sollte eigentlich größer und stattlicher ausfallen - sogar größer als der Petersdom in Rom. Aber genau das wurde den Erbauern untersagt. Danach - also in den vergangenen 500 Jahren - hatte keiner mehr so richtig Lust, das Gebäude optisch ansprechend zu vollenden ...

Bemerkenswert waren auch die Geschichten zu den Geschlechtertürmen aus dem Mittelalter. Vor rund 900 Jahren gebaut, dienten sie ursprünglich ein bisschen der Verteidigung, ein bisschen der Machtdemonstration. Dass sie heute recht schief dastehen, hat wohl vor allem mit dem nicht ausreichend tragfähigen Unterbau zu tun, weniger mit mangelnder Baukunst.

Ansonsten haben wir uns als Besucher in jeweils 2-3 Stunden vorrangig in den Fußgängerzonen umgeschaut. Dort fanden wir, insbesondere in Bologna und in Parma, zahlreiche Lebensmittelläden mit einem sehr verlockenden Angebot. In Modena war es die Markthalle, wo allerlei Leckeres aus der Region angeboten wurde. Nur gut, dass wir nichts kaufen und auswählen mussten. Ansonsten gibt es in allen drei Städten eine Fülle kleiner Lädchen und Bistros, aber erstaunlich wenige Geschäfte bekannter Ketten. Die sieht man eher im Umland und entlang der Autobahn. Wer in den Städten einkaufen möchte, sollte aber daran denken, dass in Italien zwischen 12:30 und 15:00 viele der kleinen Läden schließen.

Fazit

Unbekanntes Italien - ein Stückchen weniger unbekannt. Für das klassiche Sightseeing interessant sind tatsächlich nur die Städte und die Hügel des Apennin. Die Poebene der Emilia-Romagna lebt von dem, was sie produziert: landwirtschaftliche Produkte und auch die Automobilindustrie sind stark vertreten. Essen und Trinken kann man aber hier etwas entspannter als z.B. in der Toskana, da sich eben nicht so viele Touristen aus dem Rest von Europa in diese Gegend verlaufen.

Video Abfüllanlage

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Abfüllanlage bei Cletio Chiarli
Lesebrillen für die Speiseskarte: das Restaurant Locanda Orelli, unser Zwischenstopp in Aiorolo kurz hinter dem Gotthardpass, erwies sich als erstklassig.
Lesebrillen
Der Balsamico wird von links nach rechts umgegossen, das Endprodukt ist also ganz rechts.
Balsamicofässer
Balsamicofassreihen: 7-10 Fässer bilden eine Reihe. Das weiße Läppchen verhindert, dass durch das Loch etwas hineinfällt.
Balsamicoreihe
Arkaden in Bologna: Mit dem Raum über der Straße wurde im Mittelalter mehr Wohnraum für Studenten geschaffen.
Arkaden in Bologna
Zwei der heute noch 20 Geschlechtertürme in Bologna, Wahrzeichen der Stadt. Einer wurde wegen gefährlicher Schieflage eingekürzt.
Geschlechtertürme
Lebensmitelladen in Bologna
Gemüseauslage
Nudeln, Nudeln, Nudeln - und ein bisschen Parmesan
Nudeln
Portal im Innenhof der Universität Bologna
Universität Bologna
Der Neptunbrunnen in Bologna vor dem ehemaligen Rathaus – ein päpstliches Geschenk
Neptunbrunnen
typisches Café
Bella Vita
Auch mit Rollern ist es schwierig, einen Parkplatz zu bekommen
Rollerparkplatz
Nach dem Dessert: Ausblick vom Restaurant Opera2, einem hervorragenden Agriturismo
Ausblick vom opera 02
Ein Penthouse in Parma
Penthouse in Parma
Ein Dachgarten in Parma
Dachlaube
In Parma gibt es nicht nur Schinken und Käse.
Würste
Hier gibt es alles, was der Gaumen begehrt.
Feinkost
Das Castello di Torrechiara vom Weingut Lamoretti aus gesehen.
Castell
Ausblick von der Terrasse des Hotels Tabiano Castello
Frühstücksblick
Nico, der Kellermeister des Weinguts La Stoppa
Nico
La Stoppa: unbedingt besuchen, vor allem wegen der Weine
La Stoppa
Culatello-Schinken im Reifehaus, das Weiße ist Edelschimmel
Culatello
was kommt woher beim Schwein
Metzgerwissen
Spanisches Grafitti in Modena: Alles für alle, nichts für uns
Grafiitti
Abfüllung des Lambrusco Frizzante bei Cleto Chiarli
Frizzante-Abfüllung
Alles Käse: der Laib bekommt ein Lochmuster, die Rinde kann also mitgegessen werden
Käsebeschriftung
Der Chef demonstriert, wie die Käsereife festgestellt wird.
Reifeprüfung
Das Biogut „Hombre“ gehört der Familie Panini - die mit den Bildchen. Sie hat die Maserati-Sammlung aufgekauft, um die Autos zu retten.
Maseratis
Thomas klärt mit dem Koch die Speisenfolge.
Thomas
Der Frühstücksraum im Hotel Tabiano Castello
Frühstück